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Rückschläge, neue Hoffnungen und Selbstreflexion im weltwärts Theater – Vorweihnachten in Vietnam

14/12/2010

Ereignisreiche Wochen liegen hinter mir – mit neuen Eindrücken von Vietnam und mir selbst.

SaPa

Wir haben unsere erste Reise angetreten. Am 26.11.2010 packten wir unsere Rucksäcke für ein Wochenende SaPa. Die Berge im Norden Vietnams sind die höchsten Erhebungen des Landes und wir wollten nun endlich Reisfelder und Natur sehen, frische Luft atmen und raus aus der Stadt kommen. Der Plan: Zusammen mit zwei Freundinnen nehmen wir Freitagabend den Nachtzug nach SaPa, kommen Samstag im Morgengrauen an und haben 2 Tage voll Wandern und Natur.

Die ersten Probleme gab es schon am Bahnhof in Hanoi. Wer konnte wissen, dass er zwei Eingänge hat, wir das zu spät mitbekommen und die Züge in Vietnam pünktlicher sind als in Deutschland? Doch wir lassen uns das lang ersehnte Wochenende nicht von solch Kleinigkeiten zerstören und nehmen einen späteren Zug. So fanden wir uns endlich um 21.50 Uhr in einem 6er-Schlafabteil wieder. Mit zu kurzen, aber doch überraschend bequemen Betten und vietnamesischen Mitfahrenden, die ganz begeistert von unserer Falsche Vodka waren, hatten wir eine sehr lustige und wackelnde Zugfahrt.

Um 6 Uhr kamen wir bei Nieselregen in Lào Cai an, der nächst größeren Stadt kurz vor der chinesischen Grenze. Der Regen allein war schon etwas besonderes für uns, da Hanoi unter einer Smogwolke vor sich hin dürstete. Mit dem Bus ging es eine Stunde die Bergstraßen nach SaPa. Doch wie sieht es dort aus? Das kann ich leider nicht beschreiben, weil wir die folgenden 2 Tage im dicken Nebel verbrachten. Feuchtigkeit, frieren und 10 Meter Sicht waren angesagt. Dennoch machten wir das beste daraus, mieteten uns Mopeds und versuchten so die Gegend zu erkunden, besuchten den Liebesmarkt in SaPa und genossen westliches Essen in den Restaurants.

Denn das ist der große Nachteil an diesem für uns unsichtbaren idyllischen Naturort: Tourismus. Auf der einen Seite genießen Westler_innen ihre Klischeevorstellung von Vietnam und auf der anderen Seite retten sie damit die arme Landbevölkerung. Doch zu welchem Preis?

Bestimmt ist es nicht gedacht, dass die ethnische Gruppe ihre eigene Tradition für Ausländer_innen mit vollen Geldbeuteln prostituiert, damit diese eine Illusion von alten Lebensweisen bekommt. Mit trauriger Miene konnte ich nur den Kopf schütteln über die Touristen, die voller Freude Kaffeefahrten zu den Dörfern der Minderheiten mitmachen und glauben, dass das Gesehene das wahre Leben ist.

Vorweihnachtszeit in Hanoi

Am frühen Montagmorgen kamen wir wieder in Hanoi an, in angenehmer Wärme und unangenehmen Smog. Doch in diese Woche startete ich mit vollem Elan und neuer Motivation, was auch meinen Schüler_innen deutlich gut tat. Der Nachteil hier: neuer Stundenplan, die Hälfte neue Klassen und keiner weiß warum. Ein deutlicher Rückschritt für uns, da wir seit Ewigkeiten darum kämpfen, eigene Klassen zu bekommen oder wenigstens kontinuierlich die gleichen unterrichten zu dürfen.

Ein neues Highlight am Children’s Palace war der English Singing Contest der städtischen Grundschulen. So konnten wir am Sonntag den 05.12. von 9.00 – 18.00 Uhr kleinen Kindern in knall bunten Kostümen mit einem „dezenten Hauch“ von Gitzer lauschen, wie sie „We are the world“ oder „Heal the world“ interpretierten. Eine ganz neue Erfahrung, wenn teilweise 50 Schüler_innen eine bildgewaltige Bühnenshow bieten, oder Mädchen Kleider tragen, die verboten kurz sind, während ein deutscher Wettbewerb dieser Art viel gemäßigter und schüchterner ablaufen würde.

Noch eines hatte sich in der Stadt verändert: die kitschige westliche Vorweihnachtszeit findet allmählich auch ihren Raum in einem Kulturkreis, in dem nur 8% der Bevölkerung christlich sind. Doch da in Vietnam eh alles viel offener mit der religiösen Zugehörigkeit ist, wird das auch mit Freuden aufgenommen. Überall kann man jetzt leuchtende Weihnachtsbäume, Watteschneemänner und Lametta finden. Doch es stört einfach keinen, je kitschiger desto besser – eine Klischeevorstellung vom Westen, die vielleicht annähernd zutreffen mag.

Bei unseren Wochenendnachilfeschülerinnen kamen die aus Deutschland mitgebrachten Zimtsterne jeden falls gut an. Auch wenn für sie die ganzen Feiertage im Dezember und der Ursprung von Weihnachten & Co. relativ schwer zu fassen sind.

Für mich ist jegliches Weihnachtsfeeling in Deutschland geblieben und findet nur Beachtung durch die zusätzlichen Ferien, die dieses Fest uns Westler_innen beschert. Meine Reiselust ist entfacht und unser Trip in den warmen Süden des Landes über die Feiertage bis Neujahr steht.

Deutsch-laotischer Besuch und weltwärts-Zwischenseminar

Ein wichtiger Besuch für die Arbeit hier war der Auftritt von Frau Karin Schüler, Leiterin des weltwärts-Projektes, im 1. Akt der Selbstreflexions-Woche am Nikolaustag. Wir wurden nach unserer Arbeit gefragt, unsere Organisation hier nach dem Nutzen, den sie durch uns hat und allgemein ob alles nach den Vorstellungen des BMZ läuft. Die Antworten waren wohl eher nicht so befriedigend, denn ob 3 ½ Stunden Englischunterricht in einer Schule, die nichts mit dem VYCT zu tun hat und unsere selbst gesuchten Beschäftigen auch fern ab vom VYCT ganz den weltwärts-Gedanken entsprechen, bleibt fraglich. Abgang Frau Schüler und Auftritt der wohl bekannten Selbstzweifel.

Nach den weltwärts-Bestimmungen gibt es für alle Freiwilligen ein Zwischenseminar während ihres Auslandsaufenthaltes, um den Kulturschock, die Arbeit und das neue Leben zu reflektieren. Unseres fand letzte Woche vom 08.12.-13.12. im Zusammenhang mit dem deutsch-vietnamesichen Musicalprojekt der .lkj) und des VYCTs statt. (aktuelle Informationen dazu unter http://vietnammusicalproject.wordpress.com/). Im Koffer des Projektes: alte und vermisste Freunde für mich, deutsche Schokolade und Käse für alle!

Für das Zwischenseminar bekam unsere 3er-WG kurzzeitig Zuwachs von den zwei lkj)-weltwärts Freiwilligen aus Laos. Eine kleine Herausforderung für uns, unsere neue Heimatstadt in kurzer Zeit effektiv zu präsentieren und ein großer Schock für die beiden, die im Nachbarland im Dorfleben integriert sind. (Tolle Berichte dazu findet ihr unter http://laosgeorge.wordpress.com/). Der spannende Erfahrungsaustausch mit den beiden über drei Monate im entwicklungspolitischen Freiwilligendienst wurde zum 2. Akt. Selbstzweifel werden von der allmächtigen Frage nach dem Sinn und der Effektivität der aktuellen Arbeitsverhältnisse überschattet.

Gemeinsam mit dem Musicalprojekt ging es dann am 10.12. auf nach Do Son, einem kleinen Örtchen drei Stunden Fahrt von Hanoi am Südchinesichen Meer. Auch wenn das Wetter in nord-vietnamesischen Winter nicht nach Baden war, begeisterte mich hier dennoch das mehr oder weniger dreckige Meerwasser mit dem mehr oder weniger salzigen Geruch und der frischen Luft.

Vor dieser Kulisse dann der 3. Akt: Der Kulturschock ist (soweit er spürbar war) bewältigt, das Einleben erfolgt und auch im sozialen Bereich ist alles zufrieden stellend. Dahingehend ist das Gebiet „Arbeit“ mit all den kulturell bedingten Tücken nicht erfreulich und bedarf Nachbereitung und Aufbesserung.

Ankunft zu Hause und Ausblick

4. Akt: Sonntag Abend dann die Rückkehr nach Hanoi, nach Hause wie es sich jetzt schon anfühlt. Die Gedanken immer noch bei den Problemen und möglichen Lösungsansätzen, bei einer neuen Arbeitswoche, die von der baldigen Weihnachtsaufführung am Children’s Palace bestimmt ist und unseren Reiseplänen für die Feiertage.

Wie alles nun ausgehen mag, ist offen und der 5. Akt wartet noch auf seine Aufführungsberechtigung. Ich kann also wieder mit dem Spruch enden, der schon zum Motto für mein Jahr hier wurde: Es bleibt spannend…

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  1. 14/12/2010 10:12 am

    Schön beschrieben. Danke dafür. Dass lässt mich als Außenstehende sehr gut nachvollziehen, wie es dir in deinem zu Hause und Arbeitsort für ein Jahr geht.
    Gut erfasst du auch die Probleme des Landes. Da ist man steht’s hin und her gerissen, es sich mit eigenen Augen anzusehen oder es lieber zu lassen …

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